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textkorrektur

Du liest eine Kurzgeschichte aus dem Bereich Science Fiction, Fantasy. Das Thema lautet „Zeitreisender reist in die Vergangenheit um sein jüngeres Ich um Hilfe zu bitten“. Überlege Dir anhand des Textes der gleich folgt, in welcher Zeit, an welchem Ort die Fiktion spielt und welche Charaktereigenschaften die Figuren aufweisen. Gliedere den Inhalt der Geschichte anhand eines hierarchischen Inhaltsverzeichnisses.

 

Ein Freizeichen … eine Mailbox springt an.
„Ich habe gehört, dass Sie sich für das Haus 18 interessieren. Vielleicht habe ich da was für Sie. 1983 gab es da einen Vorfall. Bewohner hatten die Polizei gerufen, dass ein Selbstmörder auf dem Dach sei. Der Mann hatte aber behauptet, er wollte sich gar nicht umbringen. Er käme aus der Zukunft und wollte ins Jahr 2039 zurückspringen. Interviewen Können Sie denn leider nicht…
…denn der ist tatsächlich gesprungen. Jetzt kommt das Mysteriöse. Seine Leiche hat man nie gefunden.“ Das knacken in der Leitung beendete die Nachricht.

Gerhard Lohmann zog am 31. Dezember 1978 ins Hochhaus 18 in Dresden. Weitgehend unbemerkt von den anderen Mietern. Denn die hatten nur Augen und Ohren für ein beherrschendes Thema. Zu diesem Jahreswechsel schien in ganz Deutschland die Welt unterzugehen, auch in der damaligen DDR. Ein Schneechaos hatte das Land im Griff und alle redeten nur über das Wetter und unter vorgehaltener Hand darüber, dass die Betonköpfe in Berlin die Lage nicht in den Griff bekommen würden.
Lohmann humpelte ins Foyer des Hochhauses zum Fahrstuhl und bezog mit lediglich einer Camping Liege ein paar Kisten und zwei Koffern eine Einzimmerwohnung mit Balkon im sechsten Stock. Er musste seine paar Sachen nicht weit schleppen. Die Wohnung lag im Flur, gleich links neben dem Fahrstuhl. Am Ende des Flurs ging ein kurzer Gang T förmig nach links und rechts. Dort befanden sich jeweils eine Dreizimmerwohnung für junge Familien.
In einer wohnte Michael, Micha, ein 9-jähriger Junge mit seiner Mutter Michaela, an diesem Tag der einzige, der Lohmann bei seinem Einzug beobachtete. Heimlich lugte er um die Ecke und überlegte kurz, ob er dem Humpeln den Mann helfen sollte. Er traute sich nicht. Lohmann war nach seiner Einschätzung vielleicht 35 Jahre alt und ungefähr eins 80, also so alt und groß wie sein Vater oder Erzeuger, wie ihn seine Mutter nannte.
Und wenig liebevolle Worte für den Kerl übrig hatte, der sie vor zwei Jahren sitzen ließ. Nachdem ich als kleiner Bruder Lars beim Spielen vom Balkon des 14. Stocks gestürzt war. Micha sah seinen Vater nur noch drei Mal im Jahr an einem Wochenende, denn er lebte jetzt in Rostock in einer neuen Wohnung mit einer neuen Frau, die ihm gerade ein neues Kind schenkte.
So brauchte Micha und sein altes Leben scheinbar nicht mehr. Micha beschloss, ihn deshalb lieber zu verdrängen, speicherte ihn, wie von seiner Mutter eingebläut, als Kindsvater und Erzeuger ab und flüchtete sich in seine Fantasie. Und die war überbordend. Zu allem, was Micha sah und erlebte, gesellte sich in seinen Tagträumen Seltsames und Geheimnisvolles. Manchmal sah er Lichter aus dem nirgendwo durchscheinende Wesen und hörte Klänge, die ihn an Musik erinnerten.
Er stellte sich dann vor, so würden Engel singen. Für Michael verschwamm die Grenze zwischen Realität und Traum und so vermutete er eine Welt hinter der Welt, die nur er sehen konnte. Diese Flucht in seine Gedankenwelt bereitete ihm gute Gefühle und irgendwann stellte er seine wundersamen Gedanken nicht mehr in Frage. Beim ersten Anblick von Lohmann war ihm deshalb nicht klar War der Humpeln der neue Nachbar tatsächlich echt?
Oder ein Wesen aus der Welt hinter der Welt? Er konnte ihn gut sehen, keine Einbildung. Ein Mann mit wilden, halblangen Haaren, einem braunen Vollbart und einem alten braunen Trenchcoat. Strähnen hingen ihm ins Gesicht, und Micha wunderte sich, weil es fast so aussah, als hingen sie absichtlich dort, um etwas zu verbergen. Ja. Alles in Ordnung, Herr Oberst? Der Mann aus der Wohnung rechts nebenan stand mit Gehstock und Filzpantoffeln auf dem Fußabtreter vor seiner Wohnungstür und guckte Micha mit Sorgenfalten auf dem großväterlichen Gesicht an.
Erschrocken zog Micha sein Köpfchen ein und hastete zurück in Richtung Wohnungstür. Ja, ja, antwortete Micha. Geh ins Bett, Junge. Deine Mutter hat gesagt, du sollst nicht wieder im Wohnzimmer auf der Couch einschlafen. Ich gucke nachher noch mal nach dir. Gut, Herr der Oberstadt. Micha war wie jeden Abend allein zu Hause, seit sein Vater ausgezogen war. Die Oberstadt, das benachbarte Rentnerehepaar, hatten angeboten, immer mal nach dem Rechten zu schauen.
Michas Mutter war Nachtschwester in der Poliklinik, also musste Micha sich alleine Abendbrot machen und danach selbst ins Bett bringen. Das bereitete ihm Unbehagen, denn er war fest davon überzeugt, dass die Heizung in seinem Zimmer lebendig war. Manchmal ächzte sie, und manchmal lachte sie dumpf und düster aus den Rohren. Sie lachte ihn aus. Natürlich. So kam es Micha jedenfalls vor.
Vor seinem Zimmer Fenster flackerte seit vier Monaten die Straßenbeleuchtung. Immer wenn Micha sich bei Dunkelheit ins Parterre des schmalen Doppelstockbetten legte, schoben sich bald darauf in seiner Phantasie Schattenwesen durch den Fenster Spalt und krochen an der Wand entlang, um ihm seine Fratze zu zeigen. Sie waren wegen Lars da. Er hätte besser auf seinen kleinen Bruder aufpassen müssen, dachte Micha.
Er musste an das leere Etagenbett denken, über seinem Kopf. Und er wusste, die Fratzen würden eines Nachts, wenn er schlief, den Tod seines Bruders rächen. Es sei denn, er würde es wieder gut machen und etwas Böses umbringen. Das hatte ihm eine der Fratzen in einem Traum verraten, der sich seit Ewigkeiten jede Nacht wiederholte. Und es muss etwas aus Fleisch und Blut sein, ein Menschenopfer mit einer verdorbenen Seele.
Würde er niemanden finden, kämen sie eines Nachts, um ihn aufzufressen. So weit wollte Micha es nicht kommen lassen. Vorsorglich zog er die Decke über den Kopf und er war sich sicher Würde er einschlafen, würden sie von der Wand steigen und es wäre um ihn geschehen. Er musste einen Weg finden, sie zu bändigen. Sie waren mächtig, das war klar.
Also auch mächtige Verbündete. Wenn er sie nur auf seine Seite ziehen könnte, vielleicht eines Tages. Bis es so weit war, musste er sich erst einmal verstecken. Micha wartete deshalb, bis er hörte, wie jemand den Schlüssel an der Wohnungstür drehte und stellte sich schlafend bisher oder Frau drüber steht, ihren Rundgang beendet hatten, um es sich dann im Wohnzimmer mit laufendem Kassetten Radio auf dem Sofa bequem zu machen.
Besonders gut einschlafen konnte er, wenn samstags eine neue Folge seiner Lieblings Familie die Neumanns im Radio lief. Die kleinen Streitigkeiten und die vertrauten Stimmen ließen ihn seine Angst vergessen. Er bildete sich dann ein, dazuzugehören. In der restlichen Woche hörte er sich alte Folgen an, die er auf Kassette aufgenommen hatte und in einem weinroten Spielzeug Koffer aufbewahrte, der neben dem Dunkelgrün Klapp Sofa gleich am Kopfende stand.
Dann konnte er einschlafen und für einen Moment seine Einsamkeit und sein Monströses das Problem vergessen. Das war zwei Jahre älter, als er hieß. Bert war 1,52 groß, hatte dicke Backen und Pranken wie Teller. Der Junge aus dem vierten Stock, der ihm sein Brot abzog, ihn schubste, wenn er ihm begegnete und vor allen anderen Kindern im Haus auf fieseste Art demütigte.
Wisst ihr, warum die Mutter von dem Zwerg abends nie zu Hause ist? Die bläst dann Schwänze, damit er jemand das Auto repariert oder den Garten von der Station buddelt. Das anschließende Gelächter hörte Micha nur dumpf, als käme es aus der Ferne. Er hatte eine Superkraft. Er konnte in eine andere Dimension flüchten, musste nicht mehr zuhören. So war er in der Lage, den ganzen Hass zu ertragen, bis ihn ein brutaler Faustschlag zurück in die Realität holte.
Körperlich wehren konnte ich mich ja nicht. Erwog nur 1498 Gramm, als er viel zu früh auf die Welt kam. Er war heute sehr schmächtig, für sein Alter zu klein und stotterte. Meine Mutter ist Krankenschwester. Weiter kam er nicht, denn das hallende Lachen der anwesenden Kinder übertönte ihn. Dann schloss er wieder die Augen und flüchtete in seine Fantasie. Manchmal stellte er sich bei den demütigenden Begegnungen vor, dass ihm seine Geister helfen könnten.
Er würde Bert und alle verfluchten Kinder, die über ihn gelacht haben, unter einem Vorwand auf den Balkon vor dem Treppenhaus in den 14 Stock locken und dann seine Schatten Fratzen aus dem Schlafzimmer bitten. Allesamt übers Geländer zu stoßen. Die Kinder, die ihn nur auslachten, hätten einen schnellen Tod verdient. Ein spitzer Schrei. Dann der Aufprall. Das war’s. Nur bei Bert stellte er sich vor, dass es langsam gehen würde, dass Bert auf dem Weg nach unten in jedem einzelnen Stockwerk mit dem Schädel an die Hauswand klatschen und dann im Gebüsch auf dem Vorplatz landen würde.
Zwar schwer verletzt, aber noch am Leben. So lange, dass Micha mit dem Fahrstuhl nach unten fahren könnte, um ihm ins Gesicht zu urinieren und dabei zu lachen. Bis Bert aufhören würde zu atmen. Die schrille Klingel an der Wohnungstür hatte kein Erbarmen. Micha öffnete die Augen, kniff sie aber gleich wieder zusammen, weil ihn die Sonnenstrahlen blendeten, die durch die Balkontür fielen.
Er lag wie jeden Morgen auf der Wohnzimmercouch. Jetzt gesellte sich zum schrillen Klingeln das hallende Keifen seiner Mutter aus dem gegenüberliegenden Schlafzimmer. Micha war immer auf der Stand der Sonne, verriet, dass es noch recht früh am Morgen sein musste. Michas Mutter war wahrscheinlich erst vor kurzer Zeit von der Nachtschicht gekommen, hatte zwei Fausts mit einer halben Flasche Rotwein runtergespült, damit die Schlaftabletten möglichst schnell ihre Wirkung entfalten konnten.
Wer ist da? Ich? Herr Naumann? Der neue Nachbar. Also den Gang runter am Fahrstuhl. Bin gestern eingezogen. Micha öffnete langsam die Tür. Wie du ja weißt. Micha schwieg und schämte sich ein bisschen dafür, dass er den Mann am Tag davor heimlich beim Einzug beobachtet hatte. Er hatte es wohl bemerkt. Tag. Der Fremde streckte Micha seine Hand entgegen und lächelte.
Micha konnte die sanften Gesichtszüge erkennen. Vom rechten Teil des Gesichtes, der nicht von langen braunen Haaren verdeckt war. Zögerlich streckte Micha seinen Arm aus und gab Lohmann die Hand. Du bist Michael Zimmermann. Also, Micha. Freut mich. Weißt du mich? Ich kenne hier noch niemanden außer dir. Ich glaube, du wolltest mir gestern helfen, richtig? Micha, stotterte ich. Ich? Ja.
Lohmann übernahm schnell das Gespräch, damit Micha sich nicht weiter schlecht fühlen musste. Weißt du, ich bin nicht nur dein neuer Nachbar, Ich habe hier auch eine Arbeit angenommen. Ich soll mich um das Haus kümmern, falls da was kaputt geht. Also, Klempner sein oder Birnen austauschen. Auch die von Straßenlaternen. Oh, weiß nicht, warum. Vor meinem Fenster nahezu ein blendend Monster ist.
So eine blöde Laterne. Schon gut. Lohmann legte Micha zur Beruhigung seine rechte Hand auf die Schulter. Das steht im Jahresplan bestimmt nicht an erster Stelle. Vielleicht gibt es auch gerade keine Birne. Aber ich schaue mal, was ich machen kann. Vielleicht kriege ich unter der Hand was hin. Lohmann trat einen Schritt zurück und zog seine dir das Bein nach.
Jedenfalls könnte ich deine Hilfe gebrauchen, Michael. Ich habe noch eine große Kiste. Die steht gerade im Keller. Sie ist nicht sehr schwer, aber ziemlich sperrig. Und ich kann sie nicht allein durchs Treppenhaus bugsieren. In den Fahrstuhl passt sie leider auch nicht. Oh, okay. Ich sag nur kurz meiner Mutter Bescheid. Micha machte sich gar nicht erst die Mühe, sie zu wecken, denn das würde er sowieso nicht schaffen.
Sie schlief tief und fest ihren Rausch aus Alkohol und Schlaftabletten aus. Also schrieb er ihr einen Zettel und legte ihn auf den Nachttisch. Micha war ziemlich aufgeregt, als Herr Lohmann vor dem großen Gemeinschaftsraum stehen blieb, wo seine Mutter und andere Hausbewohner an jenem Sonnabend die Wäsche wuschen und zum Trocknen aufhängen. Neben dem Raum gab es eine verschlossene Tür, hinter der es in Intervallen tief brummte und manchmal mechanisch klapperte und Micha sich jedes Mal fragte, wenn er davor stand, was für ein grässliches Monster sich wohl dahinter verbergen würde.
Besonders das Klackern beflügelte seine Phantasie. Micha stellte sich vor, wie ein Roboter von einem fernen Planeten mit rotglühenden Augen von innen versuchte, die verschlossene Tür zu öffnen. Gleich würde er der Killermaschine Auge in Auge gegenüberstehen, dachte Micha und versteckte sich vorsichtshalber hinter Lehmanns Rücken. Lohmann zog sein Bein ran und steckte einen Schlüssel in das Schloss der eisernen Brandschutz Tür.
Dann drehte er ihn um und drückte die Klinke runter. Die schwere Tür schwang auf, als hätte tatsächlich jemand von innen dagegen gedrückt. Micha kam ein Schwall warmer Luft entgegen, die nach Staub, Öl und Wasser roch. Kein Monster, kein Roboter. Der Heizungskeller. Micha war fast ein bisschen enttäuscht. Dahinten. Lohmann deutete auf eine längliche Kiste aus Aluminium. An den Seiten waren jeweils Luftlöcher eingestanzt.
Die Kiste sah aus wie eine dieser Transport. Kisten, die manchmal vor dem Lebensmittelgeschäft standen und in denen Obst und Gemüse transportiert wurde. Diese hier war nur ungewöhnlich lang. Micha tippte auf mindestens 2 Meter. Sie stand im Halbdunkel neben einem dunkelgrauen Kessel. Lohmann ging vor und Micha folgte. Er konnte die Kiste nun näher begutachten, weil sich seine Augen an das spärliche Licht gewöhnt hatten.
Ihm fiel eine Schweißnaht in der Mitte der Kiste auf. Sie zog sich rundherum auch über den Deckel, der aus zwei Teilen zusammengesetzt war. Offenbar hatte jemand beide Transport Kisten zu einer langen verarbeitet. Du wirst sehen, sie ist nicht schwer, aber ein bisschen unhandlich. Da. Lohmann griff einen der Seiten Griffe. Die kannst du ausklappen. Micha bückte sich und fasste mit beiden Händen nach den Griffen.
Auch Lohmann beugte sich nach unten und neigte dabei den Kopf zur Seite. Das lange Pony verrutschte und legte seine bisher verborgene Gesichtshälfte frei. Micha erschrak, ließ die Griffe los und trat einen großen Schritt zurück. An der Stelle des Gesichts, wo er bei Lohmann ein ebenso strahlendes, sanftes, braunes Auge erwartet hatte wie auf der rechten Seite, klaffte links nur ein dunkles Loch.
Luhmanns komplette linke Gesichtshälfte war vernarbt, so wie er es mal in einem Medizinball bei einem Brandopfer gesehen hatte. Er hat beim Kokeln nicht aufgepasst! Versuchte Lohmann die Situation aufzulockern. Keine Angst, ich beiße nicht. Micha nickte schnell und nahm die Griffe wieder in die Hand. Ein Feuer war das. Ein ziemlich großes Feuer in einem Hochhaus. Ich habe noch Glück gehabt.
Alle im Haus außer mir sind verbrannt. Micha kroch ein Schauer über den Rücken, als er sich das nur vorstellte. Er schwieg und wartete, ob Lohmann weitersprechen würde. Er tat es nicht. Stattdessen griff er nach seinem Ende der Kiste und hob sie an Micha hob die Kiste ein Stückchen höher und bemerkte erst jetzt, wie leicht sie sich tragen ließ.
Sie kamen gut voran und stiegen die Treppen hoch bis in den sechsten Stock. Ohne die Kiste auch nur einmal abstellen zu müssen, trugen sie sie bis zu Luhmanns Wohnungstür Tür. Komm da vors Fenster, da stört sie niemanden. Micha stand noch in der Tür und ließ den Blick schweifen. Links an der Wand stand jetzt aufgeklappt die Camping Liege. Darauf lag ein blauer Schlafsack.
Vor der Liege standen die beiden Holzkisten, die er am Abend zuvor gesehen hatte, befüllt mit Büchern und allerlei Krempel. Neben der Wohnungstür im Flur hatte Lohmann einen der beiden hellbraunen Lederkoffer abgestellt. Der andere lag mitten im Raum mit geöffneten Deckel. Micha konnte ein paar Hemden sehen und eine zusammengelegten schwarze Cordhose. Kein Tisch, kein Stuhl, kein Kühlschrank. Dafür stand auf dem Fensterbrett ein elektrischer Camping Kocher und daneben waren ein paar Konserven gestapelt.
Auf einem dicken Holzbrett lag ein halbes Brot und ein großes Küchenmesser und etwas in Brot Papier Eingewickelte. Wahrscheinlich Wurst oder Käse. Micha trat in die Wohnung und trug die Kiste zusammen mit Lohmann an die vorgesehene Stelle. Dort stellten sie sie unter dem Fenster ab. Magst du Tee? Lohmann ging ins Bad und befüllte am Waschbecken einen Teekessel mit Wasser.
Nein, danke. Meine Mutter macht sich bestimmt schon Sorgen. Log Micha, der ganz genau wusste, dass sie noch tief und fest schlief, und steuerte Richtung Wohnungstür. Willst du denn gar nicht wissen, was du da gerade mit mir nach oben geschleppt hast? Lohmann stellte den Teekessel auf eine der zwei Herdplatten und drehte sie auf. Micha fühlte sich eigenartig. Seine Mutter hatte ihm eingebläut, nicht mit fremden mitzugehen, und ihm wurde unbehaglich.
Auf der anderen Seite fühlte er sich wohl in der Gesellschaft des einäugigen Fremden mit dem entstellten Gesicht. Er war allein. Genau wie er. Keine Freunde, die ihm beim Umzug halfen. Sicher wurde er auch gemobbt, dachte Micha und nickte zaghaft. Doch Lohmann öffnete die beiden Verschlüsse und klappte langsam den Deckel hoch. Die Kiste war mit dunkelgrauen Pyramiden, Schaum ausgekleidet.
Es befanden sich vier knapp 2 Meter lange Röhren darin, die jeweils einen Durchmesser hatten wie eine Kinderfest. Micha konnte nicht zuordnen, aus welchem Material sie gefertigt waren. Er vermutete Glas oder Plexiglas und sie schimmerten merkwürdig blau. Am Boden der Kiste lag eine chrom farbene Platte, die die Kiste fast komplett ausfüllte. Lohmann nahm einen hellbraunen, ledernen Gegenstand heraus, der so groß war und auch die Form hatte wie das Lesebuch, das Micha in seinem Schulranzen hatte.
Lohmann klappte ihn auf und ein weiterer Gegenstand kam zum Vorschein. Offensichtlich war das Leder Ding nur eine Art Hülle, was es schützte. Sah aus wie eine rechteckige schwarze, glänzende Glasplatte. Lohmann streckte es mit der linken Hand Micha entgegen. Micha stand mit offenem Mund an der Wohnungstür und staunte. Die schwarze Fläche auf dem Glas hatte sich verändert. Sie strahlte in einem weißen Licht.
Ein schwarzes Rechteck kam wie aus dem Nichts und füllte 1/3 der jetzt weißen Oberfläche aus. In der Mitte des Rechtecks war ein auf die Seite gekippt, das weißes, gleich schändliches Dreieck abgebildet, umrandet von einem transparenten, dunkelgrauen Kreis. Lohmann nickte Micha freundlich zu und tippte mit dem Zeigefinger auf das Dreieck. Symbol? Was dann geschah, hielt Micha für Hexerei. Er konnte in dem Rechteck die Wohnung von Lohmann sehen, so als würde er durch ein kleines Fenster schauen.
Ein Film und alles spielte sich auf dieser komischen Glasscheibe ab. Micha stand da wie angewurzelt. Jemand trat ins Bild. Es war nicht zu erkennen, wer da der Bildausschnitt ungünstig war. Man sah nur den Oberkörper. Die Person trat einen großen Schritt zurück, schaute in die Kamera und sagte Du musst mir jetzt ganz genau zuhören. Micha stand da wie hypnotisiert.
Der aus dem Film, der sprach ihn direkt an und er kannte das Gesicht ziemlich gut. Es war sein eigenes, als würde er in einen Spiegel schauen. Aber Micha kann sich nicht daran erinnern, dass ihn irgendjemand irgendwann gefilmt hätte. Das wäre ihm aufgefallen, denn zu seiner Zeit war es sogar eine Sensation, wenn jemand eine schmale Filmkamera besaß. Es ist noch nicht passiert, okay.
Deshalb kannst du dich auch nicht erinnern. Verstehst du? Nein. Micha verstand gar nichts. Ihm wurde heiß und kalt. Sicher war er verrückt geworden, Weil er sich so gerne in seiner Welt hinter der Welt versteckte, dachte er. Hey, hör mir zu, Bitte. Du hast Angst. Ich weiß das. Aber vertrau mir. Vertraue dir und vertraue Lohmann. Lohmann hatte die Kiste wieder verschlossen und sich draufgesetzt.
Er nickte freundlich und seine Körpersprache zeigte nichts Bedrohliches. Was du hier siehst, ist deine eigene Zukunft. In zwei Jahren wirst du anfangen, durch die Zeit zu reisen. Doch es funktioniert nicht. Sie wird sich an ihrem 30. Geburtstag vom Hochhaus stürzen. Und du? Du kannst es nicht verhindern. Schon wieder nicht. Micha wurde heiß und kalt. Der hyperventiliert, als hätte Lohmann Michas Gedanken gelesen, stand er auf, nahm etwas vom Tisch und reichte es Micha eine braune Papiertüte.
Micha zog sie mit Daumen und Zeigefinger auseinander, hielt die Öffnung mit der linken Hand an den Mund gepresst und atmete hinein. So oft du es probierst, du hast es nie geschafft, unsere Mutter zu retten. Ich kann nicht mehr springen. Ich bin zu schwach. Also bist du derjenige, der sie aufhalten muss. Ich vertraue Lohmann. Lohmann nahm Micha das Tablet ab und legte es auf den Tisch.
Das Video. Den Film habe ich mit ihm mit dir aufgenommen. In drei Jahren. Micha verstand nicht. Micha verstand gar nichts mehr. Lohmann ging zum Wasserkocher am Fenster und goss zwei Tassen Pfeffer Münster auf. Herr Lohmann setzte sich wieder auf die Kiste. Setz dich zu mir. Micha nahm neben ihm Platz und nippte an dem heißen Pfefferminztee. 1000 Gedanken gingen ihm durch den Kopf.
Träumte er? Ist er verrückt geworden? Lohmann klopfte sanft mit der Faust auf die Kiste. Wir setzen auf etwas, das du eigentlich erst zwei Jahre nach dem Tod deiner Mutter finden wirst. Du wirst das nicht verkraften. Du wirst die Schule schmeißen. Du wirst anfangen zu planen. Du wirst Bert den Schädel einschlagen. Warum? Micha hasste Bert. Aber umbringen wollte er ihn nur in seiner Phantasie.
Bert ist am Tag, wo Mutter deiner Mutter auf dem Dach steht. Auch dort. Er ist ihr gefolgt, als sie durch die Dachluke im 14 Stock geklettert war. Klettern wird. Du warst auch da oben. Leider zu spät. Bert, War es dran schuld? Bert hatte dir am gleichen Tag eine Viertelstunde vorher Prügel angedroht. Dann bist du mit Schiss in der Hose in deine Wohnung zurück gerannt und hast dich wie ein kleines, ängstliches Kaninchen in deinem Zimmer versteckt.
Deshalb ist dir auch der Zettel auf dem Couchtisch nicht aufgefallen. Den Mutter deiner Mutter geschrieben hatte. Micha hat einen Kloß im Hals. Träumte er das alles? Warum klang Lohmann plötzlich so böse? Der blöde Brief? Hättest du ihn doch nur gleich gelesen. Was meinst du? Es war ein Abschiedsbrief, Mutter. Deine Mutter hatte aufgeschrieben, dass sie es nicht länger aushält, dass ihr alles zu viel geworden war.
Und dass du besser ohne sie dran wärst. Sie würde aufs Dach steigen und zu den Engeln fliegen. Micha fing an zu weinen. Er verstand nicht, was das bedeuten sollte. Es war doch noch gar nicht passiert. Da ist einer Mutter gefolgt, als sie schon gefährlich nahe am Abgrund stand. Sie hatte ihn aus den Augenwinkeln entdeckt, sich dann aber wieder abgewendet.
Dann hatte sie Bert wohl ihre ganze Lebensgeschichte gebeichtet. Vielleicht hatte sie auch gehofft, dass er sie von ihrem Vorhaben abhalten würde. Und du musstest dringend auf die Toilette und bist nur deshalb aus deinem Loch gekrochen. Dann hattest du Durst, hast dir ein Glas Milch geholt und den Brief entdeckt. Du hast alles stehen und liegen lassen und bis nach draußen gerannt.
Du hast hektisch auf der Schalttafel vom Aufzug rum gehämmert. Der hing natürlich irgendwo ganz oben im zwölften fest. Also bist du ins Treppenhaus und die Stufen rauf geächtet. Du musstest immer wieder anhalten, weil deine Lunge nicht mitspielte. Dir wurde schwarz vor Augen, aber du hast es schließlich doch geschafft. Leider nicht Im letzten Moment, als du durch die Dachluke gekrochen bist, hast du bereits lachen gehört und diesen Satz Spring doch, du höre!
Micha heulte und schluchzte. Lohmann schwieg eine Weile. Dann klopfte er Micha auf die Schulter und stand auf. Willst du es wieder gut machen? Micha nickte und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen beiseite. Komm, ich zeig dir was. Das Ding hier, das muss aufs Dach. Die Kiste alle Treppen hoch. Lohmann legte den Kopf zur Seite und schaute Micha mit runter gezogener Braue an, da stand im Lichtkegel der Birne, die von der Decke hängen und hatte aus dieser Perspektive etwas Gruseliges an sich.
Micha überlegte, was für ein Feuer das angerichtet haben könnte. Lohmann antwortete, als könnte er Gedanken lesen. Du wirst es nicht glauben. 2024 bricht im Keller dieses Hauses ein Feuer aus. Die Flammen fressen sich rasend schnell durch alle Etagen. Ich könnte mich gerade so mit einem Sprung durch die Zeit retten. Wie geht das mit der Zeit? Lohmann klopfte mit der flachen Hand auf die Kiste.
Los, pack an! Wir müssen aufs Dach. Ich zeig es dir! Mit ein paar Ruhepausen zwischendurch schleppten sich Lohmann und Micha das Treppenhaus hoch bis zur Dachluke, die Lohmann erwähnt hatte. Wie sollen wir die Kiste da durchkriegen? Norman humpelte auf den Balkon und griff sich einen Haken, der an einem langen Stab befestigt war und am unteren Ende der Balustrade eingeklemmt war.
Dann humpelte er zurück und zog erst die Dachluke heraus. Und eine zweite, die nicht leicht zu erkennen war, direkt daneben. Lohmann musste kräftig ziehen, da sie sich nicht gleich löste. Sie wurde selten benutzt und war nur dazu da, sperrige Maschinen oder Werkzeuge aufs Dach zu bugsieren. Komm auf meine Schultern. Oben liegt eine Leiter. Ohne die komme ich nicht so ohne Weiteres nach oben.
Micha sprang aufs Dach, ließ die Eisen Leiter herunter, die Lohmann als Schiene benutzte um die Metall Kiste längs durch die Dach öffnung zu schieben. Micha nahm sie oben entgegen. Ihm fröstelte. Der dünne Anorak konnte ihn nicht wärmen. Lohmann hatte eine braune Cord Jacke an bestimmt die auch nicht viel wärmer, dachte Micha und blies seinen Atem in seine rechte Hand.
Der bei den Minusgraden dampfte. Das Dach war schmutzig. Vermutlich sah es selten einen Menschen. Rohre ragten heraus, aus manchen dampfte es und schneebedeckte den Kiesel, der überall ausgestreut war. Micha entdeckte einen Blitzableiter und die Fernseh antennen, die sich wie Spinnen Finger nach vorne streckten. Komm! Lohmann zog die Kiste durch den Schnee bis zu einem grauen Rechteck Kasten in der Mitte des Daches.
Dahinter vermutete Micha ein paar Stromanschluss. Lohmann zog einen Schraubenzieher aus der Innenseite seiner Jacke und öffnete damit die Tür, die den Kasten versperrte. Micha konnte dahinter Kabel, Bäume entdecken. Nichts Ungewöhnliches. Auf den ersten Blick, versteckt hinter Klingel Draht, lugte ein Kabel heraus, das ziemlich ungewöhnlich aussah. Es schimmerte bläulich wie die Röhren aus der Kiste. Lohmann zog inzwischen eine Kabeltrommel aus dem grauen Kasten und verband das lose Ende mit dem leuchtenden Kabel.
Sofort fing auch das aufgerollten Kabel an zu glimmen. Lass es uns anschließen. Lohmann öffnete die Kiste und reichte Micha eine Röhre nach der anderen. Sie waren so leicht, dass sie Micha mühelos mit beiden Armen halten konnte. Plexiglas, war sich Micha jetzt sicher, So leicht wie die Röhren waren. Warum sie so seltsam blau schimmerten, war ihm immer noch nicht klar.
Sie leuchteten regelrecht von selbst. Nicht so intensiv wie das Kabel, eher so wie Phosphor. Lohmann hatte die blank polierte Metallplatte aus der Kiste genommen, nahm sie in die eine Hand und die Kabeltrommel in die andere. Richtung Norden zum Rand des Dachs. Wo wollen Sie hin? Bring einfach die Röhren hierher. Mich erfolgte. Lohmann hatte die Platte inzwischen abgelegt und das andere Kabel mit der Platte verbunden.
Micha ahnte, was er vorhatte. An den Ecken der quadratischen Platte waren vier runde Aussparungen zu sehen. Sie hatten den gleichen Durchmesser wie die Röhren und waren mit Winden versehen. Micha fragte gar nicht erst. Er schraubte die Röhren eine nach der anderen, in das jeweilige Gewinde. Jetzt kommt der schwere Teil, um den Energie Kreis zu schließen, müssen die Röhren samt Platte dahin.
Lohmann kniete auf dem Dach Vorsprung und zeigte nach unten. Kannst du die beiden Röhren auf deiner Seite festhalten? Wir lassen das Ganze dann zusammen runter. Micha hatte Angst, so nah an den Vorsprung heranzutreten. Ihm wurde flau im Magen, obwohl er eigentlich keine Höhenangst hatte. Aber das hier war schon ganz schön hoch und es war sehr bös. Ich, Micha hatte nichts entdecken können, woran er sich hätte festhalten können, falls er das Gleichgewicht verlieren würde.
Du musst auf die Knie gehen, dann ist das nicht mehr so schwindelerregend. Micha kniete neben Lohmann und zitterte jetzt am ganzen Körper vor Kälte, da der eisige Wind immer stärker wehte. Halt nur deine Röhren fest. Lohmann schob die Metallplatte über den Rand und hielt mit beiden Händen seine Röhren umklammert. Siehst du den Metallrahmen? Micha wagte einen vorsichtigen Blick über die Dachkante und konnte ein Metallgestell erkennen, das ungefähr 2 Meter tiefer befestigt war.
Es hatte ungefähr die Größe der Metallplatte. Wir müssen die Vorrichtung dort runterlassen und in die Verankerung drücken. Micha umarmte seine Röhren und ließ sie ein paar Zentimeter durch die Finger gleiten. Immer wenn Lohmann ihn dazu aufforderte. Der Wind wurde stärker und die Röhren samt Platte bewegten sich gefährlich. Um so näher sie der Verankerung kamen. Vielleicht auch nur, weil Micha hin und her wankte.
Er hatte große Angst abzurutschen. Klack und Klack Schnapp Verschlüsse verankerten sich an beiden Seiten und hielten die Konstruktion nun fest im Griff. Im selben Moment fingen die Röhren an hell auf zu leuchten und zu summen. Micha erschrak und stolperte 2 Meter rückwärts Richtung Dach. Mitte? Wofür ist das? Es ist Signal. Leuchten wir auf einem Flughafen am Flughafen? Gar nicht mal so falsch.
Lohmann drehte sich um und holte das Tablet hervor. Er nahm schon die linke Hand und schaltete es ein. Dann öffnete er eine App, die einen Kalender anzeigte. Micha stellte sich neben Lohmann und schaute ihm über den Arm. Der staunte über die Ziffern, die er sah, die so klar und farbig aussahen wie in einem Magazin. Aber das eigentlich Erstaunliche war Unter der vierstelligen Zahlenreihe war ein Foto abgebildet.
Sein Zimmer. Micha bekam es mit der Angst zu tun. Er muss dann die warnenden Worte seiner Mutter denken Geh nie mit Fremden mit. Zu spät, dachte Micha. Lohmann tippte ein Datum ein. Der nächste Geburtstag von Michas Mutter. Du musst dein zukünftiges Ich warnen. Er soll Mutter deine Mutter retten. Warum machst du das nicht selbst? Ich bin schon so oft gesprungen.
Es ist wahrscheinlich, dass ich mich bei einem der nächsten Sprünge in meine Moleküle auflöse. Lohmann wartete nicht ab, was Micha darauf antworten wollte, und versetzte ihn mit beiden Händen einen kräftigen Stoß in den Rücken. Micha schrie, als er über den Vorsprung stolperte, das Gleichgewicht verlor und in die Tiefe stürzte. Rette, Mutter!
Es ist vorbei, dachte Micha und schloss die Augen. Er spürte den eiskalten Wind, als er kopfüber in die Tiefe rauschte. Er blieb erstaunlich ruhig, spürte keine Angst und sogar etwas Erleichterung. Sein so kurzes Leben war nicht einfach gewesen. Erst der Tod seines kleinen Bruders, für den er sich verantwortlich fühlte. Der Vater, der die Familie verlassen hatte. Micha fühlte sich schuldig.
Und seine Mutter, die zu viel Wein trank und sich im Krankenhaus an den Medikamenten bediente, das wusste auch er mit seinen neun Jahren schon einzuordnen. Und wieder dieses Gefühl Ich bin schuld. Jetzt würde es gleich vorbei sein und er wäre erlöst. Doch nichts. Micha wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er merkte, dass der kalte Januar Wind verschwunden war.
So ist es also zu sterben. Ganz sanft. Kein harter Aufprall. Micha öffnete die Augen. Er lag auf dem Rücken und in seinem Blickfeld. Oben an der Decke hing die alte, schon vergilbte Deckenlampe, die er so gut kannte. Sie sah aus wie eine Laterne aus Stoff, und Bommi, der Bär, hielt in seinen Tatzen einen Brummkreisel. Micha lag auf dem Fußboden mitten in seinem Zimmer.
Ich bin nicht tot. Lohmann hatte mich nicht umgebracht. Er hatte nicht gelogen. Micha war in seinem Zimmer. Bin ich wirklich durch die Zeit gereist? Micha erschrak. Er stand auf und schaute sich um. An der Wand stand das Bett. Die Tür zu seinem Zimmer war nur angelehnt. Vorsichtig schob er sie einen großen Spalt auf, dass er hindurchsehen konnte, reckte erst seinen Kopf hindurch und schlich dann auf Zehenspitzen Richtung Wohnzimmer.
Keiner da. Micha war alleine in der Wohnung. Er schaute sich im Wohnzimmer um. Auf dem Couchtisch standen ein Blumenstrauß, eine Flasche Wein mit einer Schleife um den Flaschenhals und ein aus Sperrholz gesägt das Gewürz Regal, in das die Worte für die beste Mutti mit einem Lötkolben eingebrannt waren. An der Flasche Wein stand angelehnt eine große Karte. Willkommen im Club.
Für Marianne zum 30. die beste Kollegin in der Poliklinik. Micha lächelte. Schön, dass Mutti so nette Kollegen hatte. Doch dann erstarrte Michas Lächeln. Vor den Geburtstagsgeschenke lag ein weißer, handgeschriebener Brief. Mein lieber Sohn, es tut mir so leid. Micha las die folgenden Sätze wie hypnotisiert Mit jedem neuen Wort hatte er das Gefühl, sein Gesicht würde mehr und mehr einfrieren, als wäre sein Kopf in einem Schraubstock eingeklemmt und jemand würde langsam, aber beständig zudrehen.
Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt. Der letzte Satz im Brief sich in sein Gedächtnis ein. Ich werde gleich aufs Dach steigen und zu den Engeln fliegen. Micha blieb wie angewurzelt stehen. Dann hörte er, wie jemand den Schlüssel ins Schloss der Wohnungstür steckte und umdrehte. Micha huschte in die Küche und kauerte sich hinter die Küchentür, um aussehen zu können.
Wenn jemand ins Wohnzimmer kommt, ließ er die Tür einen Spalt offen, doch es kam niemand. Er hörte wie eine andere Tür in der Wohnung geöffnet und wieder geschlossen wurde. Das bin ich! Sagte er zu sich selbst. Ich verkrieche mich wie ein Wurm in meinem Zimmer und ich werde den Brief zu spät finden. Micha sprang aus der Hocke in den Stand, lief zum Couchtisch, nahm den Abschiedsbrief seiner Mutter, ging in den Flur und schob ihn vorsichtig unter den Türspalt des Kinderzimmers.
Dann ging er zur Wohnungstür, öffnete sie, ging hinaus, atmete einmal tief ein und aus und schlug die Tür, so fest er konnte, ins Schloss nach oben. War der einzige Gedanke, den er noch hatte. Ich muss sie retten. Er rannte so schnell er konnte, ließ den Fahrstuhl links liegen, riß die Tür zum Treppenhaus auf und hastete die Stufen hinauf.
Micha wusste nicht, woher er die Kraft hatte. Ohne anzuhalten, nahm er die Stufen bis zur 14. Etage. Die Angst, dass er zu spät kommen und den Tod seiner Mutter nicht verhindern könnte, war so groß, dass sie übermenschliche Kräfte in ihm freizusetzen schien. Auf dem letzten Absatz wurde ihm schwarz vor Augen. Er atmete hektisch, ging in die Knie und schnaufte einen Moment.
Dann drückte er mit der rechten Hand die Klinke der Glastür nach unten und stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Die Tür schwang auf und knallte Bert, der dahinter stand, direkt an den Kopf. Der wankte kurz, stolperte und fiel auf seinen Hintern. D Warm. Ich mochte ich alle. Micha war sofort klar, dass das keine leere Drohung war. Merkwürdigerweise hatte er keine Angst vor Bert.
Schon deshalb, weil ihm bewusst war, dass diese Gelegenheit gerade die beste Ablenkung war, um Bert davon abzuhalten, auf das Dach zu steigen, um seine Mutter dabei anzufeuern, vom Dach zu springen. Also nutzte Micha die Gelegenheit, dass sich Bert einen kurzen Moment überrumpelt fühlte und flüchtete auf den Balkon des Treppenhauses. Brüllend polterte Bert nur wenige Augenblicke später hinterher. Mit ausgestreckten dicken Armen packte er den schmächtigen Micha an den Schultern und presste ihn grob an die Balustrade.
Micha verzog das Gesicht vor Schmerzen. Er prallte mit voller Wucht mit seinen Schultern an das Geländer. Bert nahm darauf keine Rücksicht, packte ihn und zog ihn mit beiden Armen einen halben Meter in die Höhe. Michael hatte keine Chance. Bert war mittlerweile zwei Köpfe größer als er. Er wehrte sich nicht. Auch als Bert ihn auf das Geländer setzte und langsam nach hinten drückte.
Jetzt hast du, genau wie dein Bruder, einen zähen Abflug morgen. Was der kleine Bastard, das nächste Nähe und sonst auch kann. Ich wollte ihn eigentlich nur unterstützen. Nur ein bisschen Angst machen. Hat sie ins Werksgelände gesetzt und dachte, dass sie sich festhält. Nee, da hat man seinen kleinen Fäusten gegen meinen Arm getrommelt. Da habe ich ihn losgelassen. Micha schnaubte vor Wut.
Dieses Schwein hatte seinen Bruder auf dem Gewissen. Na, da saßen willste mich jetzt am liebsten unterstützen? Versuch es doch mal! Bernd drückte Micha noch ein Stück weiter über die Brüstung, so dass Micha von selbst das Gleichgewicht nicht mehr halten konnte. Am ausgestreckten Arm hielt ihn Bert jetzt fest. Er hatte sein Leben in der Hand. Und Micha war sich sicher, er würde es jetzt gleich beenden.
Micha schloss die Augen. Hauptsache, seine Mutter würde überleben, dachte er. Mit einem Mal zog ihn etwas kräftig zurück auf den Balkon und auf die Füße. Micha stolperte und landete rücklings auf seinem Hintern. Er spürte einen spitzen Schmerz im Steißbein, den er sofort ignorierte. Am Balkongeländer stand nun Bert, mit dem Rücken über das Geländer gebeugt, vor ihm der Mann, der ihn mit beiden Händen am Kragen packte.
Und bevor Bert verstand, was gerade passierte. Über die Brüstung schubste. Micha konnte nicht sehen, was dann passierte, aber er hörte die dumpfen Schläge immer, wenn Bert auf seinem Weg nach unten irgendwo aneckte. So hatte es sich Micha bildhaft vorgestellt. Wahrscheinlich liegt er da unten in einem Gebüsch, wimmernd, mit gebrochenen Knochen und sein Leben nur noch an einem hauchdünnen Faden.
Micha richtete sich auf und wollte sich über das Geländer beugen, doch Lohmann hielt ihn am Arm zurück. Lass uns Mutter, deine Mutter retten! Lohmann schob Micha ins Treppenhaus zurück. Er zeigte auf die geöffnete Dachluke. Wir müssen rauf aufs Dach. Mich erfolgte und hörte, wie Lohmann direkt hinter ihm die Leiter klemmte. Als Micha schon auf dem Dach war, drehte er sich um und reichte Lohmann für den letzten Meter seine Hand.
Dann standen beide auf dem Dach. Kein kalter Wind, kein verschneite Boden. Es war ein lauer Frühsommer Abend. Der Geburtstag seiner Mutter. Vorsichtig zog Lohmann Micha in Richtung des grauen Stromkasten, hinter dem sich beide nun versteckten. Sie konnten von dort aus gut die andere Seite des Dachs beobachten. Und da saßen sie kauernd Michas Mutter und Micha. Die Version aus der Zukunft.
In der er gerade war. Der Micha hielt seine Mutter fest im Arm und er meinte hören zu können, wie die beiden leise weinten. Alles gut. Lohmann klopfte Micha auf die Schulter. Diesmal hast du es geschafft. Sie warteten noch eine Weile, bis Michas Mutter und sein zukünftiges Ich durch die Dachluke verschwunden waren. Micha schaute Lohmann fragend an und jetzt ist Mutter gerettet.
Lohmann nickte und bat. Wenn er schon tot ist, dann werde ich ihn nicht mehr umbringen müssen. Lohmann legte väterlich den Arm um Michas Schulter und spazierte mit ihm über das Dach. Es war ein komisches Gefühl, da es Micha an den Moment erinnerte, der für ihn selbst erst ein paar Minuten her war, als Lohmann ihn vom Dach geschubst hatte.
Ich weiß es nicht, sagte Lohmann. Die Zukunft hat sich gerade geändert. Oh, okay. Aber irgendetwas hast du. Ich kann es dir ansehen. Lohmann blieb stehen und schaute einen Moment in den fast Wolken freien Himmel, der sich schon gelb rot zeigte. Dann schaute er Micha an und sagte ernst Weißt du, Michael. In der alten Version, in der ich, in der du Bert, den Schädel eingeschlagen hast, ist etwas Sonderbares passiert.
Allerdings in der Zukunft. Was meinst du? Der Brand. Ich habe dir davon erzählt. Lohmann zeigte auf seine vernarbte Gesichtshälfte. Der, der dafür verantwortlich war, hat behauptet, ich hätte ihn vom Dach gestoßen und halb tot auf dem Asphalt liegen lassen. Bis jetzt dachte ich, dass es einfach ein Verrückter gewesen war. Das heißt, du warst in einer Zukunft, die wir jetzt erst verursacht haben?
Ich weiß es nicht. Lohmann atmete schwer. Dann nickte er kurz und tippte Micha auf die Schulter. Ich weiß nur, dass du jetzt gehen musst, sonst war das ja alles umsonst. Lohmann griff Micha mit beiden Händen an den Schultern, drehte ihn und schob ihn Richtung Dachkante. Aber du musst mir noch eins sagen Spring jetzt! Du sagtest Mutter, das heißt, du bist ich als Erwachsener.
Micha hatte nicht bemerkt, dass die beiden mittlerweile den Rand des Daches erreicht hatten. Er spürte den leichten Stoß an seinen Schultern und dass Lohmann ihn losließ. Micha verlor das Gleichgewicht, schloss seine Augen und ließ sich fallen. Micha lag mit geschlossenen Augen in seinem Bett. Er hörte durch die Tür seine Mutter in der Küche. Sie machte gerade den Abwasch und sortierte das Geschirr in den Schrank.
Micha öffnete die Augen und schaute auf die Holz streben vom Lattenrost des Doppelstockbetten. War das alles nur ein Traum gewesen? Ein sehr intensiver, realistischer Traum. Micha schwang sich aus dem Bett. Sein Blick war geneigt. Ihm fiel sofort auf, dass er seine dunkelblaue Nieten Hose nicht ausgezogen hatte. Kein Schlafanzug. Und er trug auch noch seine blauen Stoff Turnschuh Schuhe mit der weißen Gummisohlen und den Gummi kappen.
Also doch kein Traum. Micha öffnete die Tür zum Flur und lief langsam Richtung Wohnzimmer. Seine Mutter erschrak, weil er so angeschlichen kam. Hey, du bist ja wieder da. Hab deinen Zettel gefunden. Und wer ist der neue Nachbar?
Ganz in Ordnung. Ich muss noch mal los. Hab was vergessen. Okay, Junge. Vergiss nachher nicht, dir Abendbrot zu machen. Ich muss gleich arbeiten. Am Feiertag nimmt ja keiner Rücksicht auf eine alleinerziehende Frau. Micha hörte, wie seine Mutter einen Teller etwas zu heftig in den Schrank legte, sodass er zerbrach. So ein Mist! Hörte er sie noch fluchen. Micha beeilte sich lieber die Wohnung zu verlassen, seine Mutter einen Wutanfall bekam.
Zehn Minuten stand Micha vor Luhmanns Tür und dachte darüber nach, was an diesem verrückten Tag alles passiert war. Dann nahm er seinen Mut zusammen und klingelte. Lohmann öffnete sofort, als hätte er hinter der Tür gewartet. Erst einen Spalt und dann, als er Micha erkannte, zog er ihn schnell am Arm in die Wohnung und schloss dann die Tür. Er schaute Micha erwartungsvoll an und.
Könntest du. Hast du Mutter gerettet? Micha setzte sich auf Luhmanns Liege und musterte ihn von oben bis unten, ohne seine Frage zu beantworten. Ganz ohne Stottern stellte er trocken fest. Du bist echt. Lohmann setzte sich neben ihn und legte seinen gesunden Arm um Michas Schulter. Dann lächelte er. Sie lebt. Ja. Mutter lebt. Micha nickte erleichtert atmete Lohmann aus.
Du denkst also, ich bin du? Dann erzähl ich dir jetzt die ganze Geschichte. Micha setzte sich aufrecht hin und hörte zu. Du erinnerst dich an dein zukünftiges Ich aus dem Video. Er war der Erste, der durch die Zeit gesprungen war. Er hatte die Zeitmaschine in einem versteckten Kellerraum entdeckt. Nach dem Tod seiner Mutter. Und weil er sich dort verstecken musste.
Er hatte schließlich Bert umgebracht. Alle suchten nach ihm. So schmuggelte er sich eine Weile durch sein verkorkstes Leben, klaute sich Essen zusammen und bediente sich an den Wäscheleinen im trockenen Raum, damit er etwas anzuziehen hatte. Sie hätten ihn eingesperrt oder in ein Erziehungsheim gesteckt. Hätten sie ihn entdeckt? Erinnerst du dich an den Heizungskeller? Micha nickte. Hinter den Heizungsrohre war ein versteckter Raum.
Dort stand die Kiste mit den Röhren. Eingestaubt. Es sah aus, als hätte sie jemand dort vergessen. Neben dem ungewöhnlichen kleinen Mini Kino. Herr Lohmann nahm das Tablet vom Tisch und ein kleines DIN A5 Buch, in dem fein säuberlich beschrieben stand, was für ein fantastischer Apparat das war. In der Kiste. Es war die Betriebsanleitung zur Zeitmaschine. Lohmann blätterte in dem grau karierten Notizbuch, bis er eine bestimmte Seite gefunden hatte und hielt es Micha so hin, dass er selbst lesen konnte.
Die maximale Anzahl von sieben Zeitsprüngen darf nicht überschritten werden, da die Idee A des Springenden sich danach nicht mehr stabil rekonstruieren kann. Mit anderen Worten man löst sich in Luft auf. Sechs Sprünge und jedes Mal musste Micha, der Micha, aus der Zukunft mit ansehen, wie seine Mutter vom Dach sprang. Er schaffte es einfach nicht, den Selbstmord zu verhindern.
Mit seinem letzten Sprung hat ein älteres Ich dann mich aus meiner Zeit geholt. Er hat mir alles haarklein erzählt, wie ich aufs Dach steigen und Bernd daran hindern sollte, Mutter aufzuhetzen, runter zu springen. Aber es endete immer mit einem Faustschlag. Lag in meinem Gesicht, genau wie bei ihm. Meist lag ich halb ohnmächtig am Rand des Daches und konnte gerade noch zusehen, wie sie sprang.
Micha schluckte. Blaumann ging zum Fensterbrett und holte ihm eine Tasse Tee. Aber du bist groß erwachsen. Wie konnte dich der Sechser überwältigen? Nun, als Micha mich holte, war ich noch nicht so alt wie heute. Ich war selbst noch ein Kind, körperlich unterlegen und naiver als heute. Micha nippte an seinem Tee und hörte weiter aufmerksam zu. Wir mussten aufgeben.
Ich hatte noch zwei Sprünge übrig. Die wollten wir nicht vergeuden, falls uns doch noch etwas einfallen würde. Wir haben dann zusammen erst unten im Keller gehaust und sind dort langsam erwachsen geworden. Als wir volljährig wurden, haben wir eine Wohnung hier im Haus gemietet, Im vierten Stock. Unter falschem Namen natürlich. Lohmann Lohmann grinste. Wir haben uns Arbeit besorgt im Hygiene Museum.
Dein Micha aus der Zukunft hat in der Werkstatt assistiert und Latex abgemischt, aus denen dann Körperteile, Hände, Füße und Skelette gegossen wurden. Irgendwie gruselig. Aber es passte auch zu ihm. Ich wurde Hausmeister. Micha musste grinsen. Hausmeister? Ja. Wir haben dann ein langweiliges, trauriges Leben geführt. Ohne Partner an unserer Seite. Ohne Freunde. Immer im Verborgenen. Mit der Angst im Nacken, dass uns die Stasi kriegen könnte und unser Geheimnis lüften würde.
Wir haben oft diskutiert, ob ich nicht einfach in eine andere, bessere Zeit springen sollte. Ich hatte ja noch einen Sprung, aber ich hätte dich ihn niemals alleine zurücklassen können. Lohmann holte sich nun auch eine Tasse Tee und trank sie in einem Zug leer. Micha fragte sich, ob Lohmann sich nicht einem heißen Tee den Mund verbrannte, doch er ließ den Gedanken los, als sein Blick über die Narben Florians verbrannter Gesichtshälfte wanderte.
Lohmann schaute Micha ernst an bis zu meinem 35 Geburtstag. Da sind wir aufs Dach gestiegen. Die Zeitmaschine war immer noch installiert. Die Haustechnik, falls sie mal das Dach oberflächlich inspizierte, hielt sie wahrscheinlich für Fernseher, Antennen oder so was. Wir hatten eine Flasche Sekt mit nach oben genommen. Leider schlug Alkohol sehr schnell an, deswegen tranken wir nur sehr selten.
Micha hatte das Steuerungs gerät heimlich mitgenommen und hinter seinem Rücken versteckt. Ich hätte ahnen können, was er vorhat. Es war seine Idee, meinen Geburtstag auf dem Dach zu feiern. Als wir die Flasche fast leer getrunken hatten, sagte er. Das ist doch toll wäre, in die Zukunft zu schauen, zu sehen, ob wir auch in 20 Jahren noch als Junggesellen nur zu zweit unsere Geburtstage feiern würden.
Wir standen gefährlich nahe am Abgrund, und ich hatte zu spät gesehen, dass er bereits ein Datum in das Gerät eingetippt hatte. Ich landete 20 Jahre später direkt in unserer Wohnung. Micha hat einen Zettel auf dem Tisch liegen lassen. Ich bin gleich zurück. Ich schaute mich um. Die Wohnung sah schäbig aus. Überall lagen leere Bierflaschen rum und ein großer Aschenbecher stand auf dem Tisch.
Er hatte angefangen zu rauchen. Es stank nach altem Männer, Schweiß und kalter Asche. Ich lüftete erst mal und setzte mich dann auf das inzwischen abgenutzte Sofa, das noch an der gleichen Stelle stand wie 20 Jahre zuvor. Micha kam kurze Zeit später nach Hause. Er hielt eine Flasche Wodka in der Hand und wankte zur Tür hinein. Micha setzte sich neben mich auf die Couch und reichte mir den Wodka.
Dann erzählte er mir jedes trostlose Detail aus seinem Leben. Allein das er sich mit seinem versoffenen Schädel noch erinnern konnte. Irgendwann waren wir beide besoffen und dann hörten wir ein ohrenbetäubendes Geräusch. Der Feueralarm. Wir wankten in den Hausflur. Überall war dicker schwarzer Qualm. Er zog von unten durch das ganze Hochhaus nach oben. Also blieb nur ein Ausweg die Flucht aufs Dach.
Micha nippte an der mittlerweile leeren Teetasse. Er stand auf, stellte sie auf den Tisch und setzte sich wieder auf die Camping Klapp Liege. Dann schaute er Lohmann mit großen, ängstlichen Augen an Du hast es dir gemerkt? Micha nickte vorsichtig. Lohmann sagte Für dich ist es ja keine paar Stunden her, dass ich erzählt habe, dass ich der Einzige war, der das Feuer überlebt hatte.
War furchtbar. Wir rannten um unser Leben. Die Flammen waren knapp hinter uns. Wir mussten uns die Seele aus dem Leib. Der giftige Rauch ätzte in unseren Lungen, als wir im 14 Stockwerk waren. Hast du. Hat Micha die Balkontür geöffnet und den Haken für die Dachluke zu holen? Dummerweise Hat das den Brand noch beschleunigt? In letzter Sekunde hast du es geschafft, die Luke herunter zu ziehen.
Du hast mich auf die Leiter gedrückt. Los, rauf da! Lohmann schwieg. Was ist dann passiert? Ich weiß es nicht genau. Du bist nie hinterher gekommen. Ich war benebelt vom Qualm und vom Alkohol. Ich war ja nichts gewöhnt. Ich habe geschrien. Aber du bist nicht gekommen. Micha konnte die Träne sehen, die aus Luhmanns gesundem Auge die Wange hinunter rann.
Lohmann schluckte den Schmerz hinunter und erzählte weiter. Dicke Rauchschwaden zogen inzwischen durch den Durchgang zum Hochhaus. Doch es qualmte wie aus der Ecke eines Hochofen. Dann habe ich diese Hand gesehen, mitten im Rauch. Micha, Micha! Habe ich gerufen. Ich habe mit dem linken Arm Mund und Nase verdeckt und bin gebückt zur Luke zurück. Es brannte höllisch in meinen Augen, ohne etwas sehen zu können, habe ich einfach nach der Hand gegriffen und dem Mann, zu dem sie gehörte, aufs Dach hochgezogen.
Erst als ich die Augen wieder öffnen konnte, erkannte ich, dass es nicht Micha war. Der Kerl sprang auf mich zu und fing an, mich zu würgen. Drecksack, Du hast nichts gemacht! Rief er immer wieder. Ich war schlagartig nüchtern und konnte sehen, dass das Gesicht des Mannes entsetzlich entstellt war, als wäre es mehrere Male in der Mitte zerbrochen. Da, wo die Nase mal war, klaffte ein Loch.
Riesige Narben zogen sich quer über sein Gesicht und er hatte nur noch wenige Zähne im Mund. Der Mann war fest davon überzeugt, ich hätte ihn vom Balkon gestoßen. Ich habe keine Ahnung, was er damit meinte. Micha überlegte kurz, ob er Lohmann jetzt sagen sollte, was er mit Lohmann in der Zukunft erlebt hatte. Er ließ es lieber sein und hörte weiter zu.
Der Irre hat mich dann zurück zur Dachwohnung gezerrt, die mittlerweile Feuer gefangen hatte. Auch er stand komplett in Flammen, aber es schien ihm überhaupt nichts auszumachen. Ich konnte nicht weg und spürte, wie es immer heißer und heißer wurde, sich meine Sachen entzündeten. Ich brannte lichterloh. Ich drehte mich zur Seite, aber die Flammen hatten auch schon mein Gesicht erreicht.
Etwas gleißendes, brennendes mir direkt ins Auge. Ich schrie vor Schmerzen, so laut, dass der Irre seinen Griff kurz lockerte. Geistesgegenwärtig versetzte ich dem Mann einen Tritt und konnte mich losreißen. Der stolperte. Und das letzte, was ich von ihm sah, war, wie er einen Schritt zu viel nach hinten machte und in der brennenden Dachluke verschwand. Mit letzter Kraft habe ich mich zum grauen Stromkasten geschleppt.
Das Kabel war immer noch angeschlossen und hinter dem Kabelbaum im Stromkasten hatten wir das Nummernschild wieder. Das Tablet hoch Steuerungs Gerät versteckt und dann bist du in die Vergangenheit gesprungen. Ja, nach 1982 zu deinem Ich in der Zukunft. Fast hätte ich es nicht geschafft. Ich blieb mit meinem Bein hängen, hab es mir so verdreht, dass es. Na ja, das weißt du ja.
Lohmann legte seine Hand auf das kaputte Knie. Ganz schön verwirrend. Micha nickte. Ich habe mich dann eine Weile gesund gepflegt und dann haben wir irgendwann die Idee gehabt, dir das Geheimnis der Zeitmaschine zu verraten, bevor du sie gefunden hast. Und dann haben wir den Film aufgenommen. Lohmann hielt das Tablet in der Hand, wie ein Sportler einen Pokal nach der Siegerehrung.
Micha lächelte schief. Was ist los? Ach ja. Lohmann legte das Tablet zurück auf den Tisch, drehte sich um und setzte sich neben Micha. Er schaute ihm in die Augen und sagte Nein, bin ich nicht. Das, was du wolltest, wissen, ob ich du bin. Also eine weitere Version von dir bin ich nicht. Aber du hast gesagt Rette Mutter. Ja, ich weiß.
Ich bin Lars, dein Bruder. Lars lächelte. Er wusste bereits, dass Micha sicher in seiner Zeit gelandet war. Diesmal hatte es funktioniert. Er schaute zufrieden auf das Tablet und die Jahreszahl, die jetzt grün eingefärbt war. Gerade wollte er das Tablet ausschalten, als er ein Icon bemerkte, das ihm vorher nie aufgefallen war. Eine Verknüpfung zu einem Video. Lars setzte sich an den Rand des Hochhaus Daches und schaute sich um.
Er war allein. Der laue Sommerwind kühlte seinen Nacken und er merkte, wie sich sein Puls beschleunigte, als er das anklickt. Ein Mann in zerfetzten Arme, Klamotten mit einer Sturmhaube über dem Kopf schaute in die Kamera. Im Hintergrund war schwarzer Rauch zu sehen und man konnte Detonationen hören und kreischende, unnatürliche Geräusche, die Lars noch nie zuvor gehört hatte. Der Mann zog sich die Sturm Maske herunter, seine langen, grauen, verschwitzten Haare hingen ihm quer ins Gesicht.
Mit beiden Händen griff er in die Mähne und streifte die Haare nach hinten. Jetzt konnte Lars sehen, mit wem er es zu tun hatte. Diese Brand Narben kannte er nur zu gut. Er sah sie jeden Tag, wenn er sich im Spiegel betrachtete. Lohmann, hör mir gut zu. Du musst noch einmal springen. Ins Jahr 2039. Lohmann sagte leise zu dem Mann, obwohl er wusste, dass es nur ein Film war.
Das geht nicht. Das weißt du. Vertrau mir. Ich weiß, dass du denkst, dass du keinen Sprung mehr übrig hast. Der Lars aus der Zukunft summte das Bild ganz nah an sein Gesicht und zwinkerte mit dem gesunden Auge in die Kamera. Aber irgendwie musst du ja hierher gekommen sein.